Mittwoch, 23. September 2015

Am Morgen aufwachen...



Am Morgen
aufwachen
ohne die Angst
etwas zu verlieren
ohne den Druck
vollkommen zu sein.

Nicht mehr
in langen Zeiträumen
denken.

Dem Leben
seinen Lauf lassen
und offen sein
für die Überraschung
des Augenblicks.

(Lilly Ronchetti)

Dienstag, 22. September 2015

Welkes Blatt...



Jede Blüte will zur Frucht,
Jeder Morgen Abend werden.
Ewiges ist nicht auf Erden
als der Wandel, als die Flucht.

Auch der schönste Sommer will
einmal Herbst und Welke spüren.
Halte Blatt, geduldig still,
wenn der Wind dich will entführen.

Spiel dein Spiel und wehr dich nicht,
laß es still geschehen,
laß vom Winde, der dich bricht,
dich nach Hause wehen.

(Hermann Hesse)

Montag, 21. September 2015

Tröste dich, die Stunden eilen...


Tröste Dich, die Stunden eilen,
und was all dich drücken mag,
auch das Schlimmste kann nicht weilen
und es kommt ein anderer Tag.

In dem ewigen Kommen und Schwinden
wie der Schmerz, liegt auch das Glück.
Und auch heitere Bilder finden
ihren Weg zu dir zurück.

Harre, hoffe. Nicht vergebens
zählest Du der Stunden Schlag.
Wechsel ist das Los des Lebens
und es kommt ein anderer Tag.

(Theodor Fontane)

Sonntag, 20. September 2015

Träume...


Es sind meine Nächte
durchflochten von Träumen,
die süß sind wie junger Wein.
Ich träume, es fallen die Blüten von Bäumen
und hüllen und decken mich ein.
Und all diese Blüten,
sie werden zu Küssen,
die heiß sind wie roter Wein
und traurig wie Falter, die wissen: 
sie müssen verlöschen im sterbenden Schein.

Es sind meine Nächte 
duchflochten von Träumen,
die schwer sind wie müder Sand.
Ich träume, es fallen von sterbenden Bäumen
die Blätter in meine Hand.

Und all diese Blätter, 
sie werden zu Händen,
die zärteln wie rollender Sand
und müde sind wie Falter, die wissen: 
sie enden, noch eh`sie ein Sonnenstrahl fand.

Es sind meine Nächte 
durchflochten von Träumen, 
die blau sind wie Sehnsuchtsweh.
Ich träume, es fallen von allen Bäumen
Flocken von klingendem Schnee.

Und all diese Flocken
sie werden zu Tränen,
ich weinte sie heiss und wirr-
begreif meine Träume, Geliebter, 
sie sehnen sich alle nur nach dir.

(Selma Meerbaum-Eisinger)

Donnerstag, 17. September 2015

Heute Nacht...

 

heute nacht

werde ich aufwachen
nach dir tasten
dir träume ins ohr
flüstern

dir sanft
mit zwei fingern

gedichte auf den arm
schreiben

ich werde zu geistern
sprechen

nie werde ich mich
daran gewöhnen

dass du
gehst
 
(Rea Revekka Poulharidou) 

Montag, 14. September 2015

Die Zeit...



Die Zeit
Schau,
die Zeit trägt Flügel,
nimmt mit
deine und meine Gedanken,
deine und meine Träume,
trägt uns fort
aus der Nähe,
aus der Ferne,
aus den Tagen,
aus den Nächten,
fliegt fort,
unaufhaltsam.
Wir,
mitgerissen und atemlos,
möchten vergeblich verweilen.

(Annette Gonserowski)

Montag, 7. September 2015

Über die Geduld...


Über die Geduld 

Man muss den Dingen 
die eigene, stille, 
ungestörte Entwicklung lassen, 
die tief von innen kommt, 
und durch nichts gedrängt 
oder beschleunigt werden kann; 
alles ist austragen - 
und dann gebären…

Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt 
und getrost in den Stürmen 
des Frühlings steht, 
ohne Angst, 
dass dahinter kein Sommer kommen könnte. 
Er kommt doch!

Aber er kommt nur zu den Geduldigen, 
die da sind, 
als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, 
so sorglos, still und weit … 

Man muss Geduld haben, 
gegen das Ungelöste im Herzen, 
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, 
wie verschlossene Stuben, 
und wie Bücher, die in einer 
sehr fremden Sprache geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.

Wenn man die Fragen lebt, 
lebt man vielleicht allmählich, 
ohne es zu merken, 
eines fremden Tages 
in die Antwort hinein.
 
(von Rainer Maria Rilke aus „Briefe an einen jungen Dichter")

Freitag, 4. September 2015

Mein Leben ist wie leise See



 Mein Leben ist wie leise See
Mein Leben ist wie leise See:
Wohnt in den Uferhäusern das Weh,
wagt sich nicht aus den Höfen.
Nur manchmal zittert ein Nahn und Fliehn:
aufgestörte Wünsche ziehn
darüber wie silberne Möven.

Und dann ist alles wieder still. . .
Und weißt du was mein Leben will,
hast du es schon verstanden?
Wie eine Welle im Morgenmeer
will es, rauschend und muschelschwer,
an deiner Seele landen.
 
 (Rainer Maria Rilke)

Mittwoch, 2. September 2015

„Adieu“, sagt der Sommer...

 


„Adieu“, sagt der Sommer.
Er reicht dem Herbst die Hand
und schickt die letzte Sommersonne
zum Abschied übers Land.

„Adieu“, sagt der Sommer,
und Trauer schwingt in seinem Wort
leise mit ihm durch die Lüfte.
Nur schweren Herzens geht er fort.

„Adieu“, sagt der Sommer,
er macht sich langsam rar.
Seine Zeit ist nun zu Ende.
Der Herbst, der ist bald da.

(Elke Bräunling)